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Juni 2006
Der Juni dieses Jahres war im Norden Malis von Sicherheitsfragen ueberschattet. In der Nacht vom 22. auf den 23. Mai 2006 hatten fruehere Tuareg-Rebellen, seit vielen Jahren als Soldaten in die malische Armee integriert, die beiden Militaereinrichtungen in Kidal angegriffen, die Wachen ausser Gefecht gesetzt und die Waffenlager von Waffen und Munition geleert, darunter auch schwere Waffen. - In der gleichen Nacht desertierte der Bataillonskommandant von Menaka, gemeinsam mit sieben anderen integrierten Soldaten in einem Toyota Pickup samt Waffen und Munition. - Am 23. Mai desertierte der Bataillonskommandant von Tessalit, Ibrahim Banna, gemeinsam mit einigen Soldaten, ebenfalls samt Waffen und Munition.
Sie alle zogen sich in einem unzugaenglichen Teil des „Adrar des Iforas“ zwischen Aguelhok und Tin Essako zurueck (siehe Karte). Die Rebellen verfuegten in diesem von Hoehlen durchzogenen Gebirge ueber rund 70 Fahrzeuge, schwere Waffen und Nahrungsmittel, die sie aus den Lagern des Welternaehrungsprogramms gepluendert hatten.
Alle Deserteure zaehlen zum Stamm (tribu) der Iforas und zu den Ex-Rebellen (von 1990 1994) des „Mouvement Populaire de l’Azawad“ (MPA). Sie waren alarmiert wegen einer bevorstehenden Militaeroperation unter Leitung von Elhadji Ag Igoumo, dem frueheren militaerischen Chef der „Armee Révolutionaire de l’Azawad“ (ARLA), um eine Gruppe unter einem weiteren Kommandanten der MPA, Hassane Fagaga, auszuschalten, der sich schon Monate zuvor mit einer Gruppe seiner Leute abgesetzt hatte, um Forderungen des Friedenspaktes fuer die Region Kidal neu durchzusetzen.
Die Tuareg-Rebellion (von 1990 bis 1994) wurde mit Hilfe des „Pacte National“ vom 11. April 1992 beigelegt, der erst Jahre nach seiner Unterzeichung umgesetzt wurde. Dieser Pakt gab den Rahmen, um rund 3.000 fruehere Rebellen in die malischen Streitkraefte und rund 300 von ihnen als Beamte in die staatliche Verwaltung zu integrieren.
Seit 1992 hatten die Tuareg direkten Zugang zur Zentralregierung in Bamako. Von 1992 bis 1997 war es die Aufgabe des „Commissariat au Nord“, dem malischen Praesidenten ihre Sorgen und Noete vorzutragen und umgekehrt die Botschaften der Zentralmacht fuer die Vertreter des Nordens zu entschluesseln. Ab 1997 und bis 2004 hatten die Tuareg immer einen Repraesentanten in der Regierung, der ihre Interessen wahrnahm und ungehinderten Kontakt zum Machtzentrum Malis gestattete.
Mit dem Ausscheiden von Ahmed Mohamed Ag Hamani aus dem Amt des Premierministers (2004) hatten die Tuareg keinen direkten Zugang mehr. Darauf machte Hassane Fagaga, Oberst der Nationalgarde aufmerksam, als er im Maerz desertierte, um bessere Bedingungen fuer die Region Kidal zu fordern.
Die Widersprueche zwischen den traditionellen Chefs (der Familie von Intalla Ag Attaher in Kidal, des Chefs der Iforas), die zuvor das Machtmonopol besassen, und der juengeren Generation der frueheren Rebellen (Iyad Ag Ghaly), die seit der Rebellion direkten Zugang zu Zentralregierung hatte, haben sich auch deshalb zugespitzt, weil die Regierung allem Anschein in juengster Zeit die traditionelle Herrschaft staerken und die Ex-Rebellen eher an den Rand draengen wollte.
Hinzu kam die Bedrohung durch die frueheren Vasallen der Iforas (Imrad), die sich in der ARLA zusammengeschlossen hatten. Die MPA hatte im Jahre 1994 die ARLA besiegt und ausgeschaltet. Jetzt hatte es den Anschein, als wolle die Zentralmacht sich der frueheren ARLA bedienen, um die aufsaessigen Iforas in Schach zu halten. Elhadji Ag Igoumou, der gegenwaertig die Operationen der malischen Armee in Kidal leitet, ist der fruehere Militaerchef der ARLA.
In den vergangenen Wochen haben unter algerischer Vermittlung in Algier Verhandlungen zwischen den Rebellen aus Kidal und der malischen Regierung unter Federfuehrung des malischen Innenministers, General Kafougouna Koné, stattgefunden. Diese Verhandlungen sind mit dem Abkommen von Algier abgeschlossen worden. Die „accords d’Alger pour la restauration de la paix, de la sécurité et du développement de Kidal“ wurden am 4. Juli 2006 unterzeichnet. Damit ist der Frieden im Norden Malis bewahrt worden.
Im Zuge dieser Ereignisse hat Algerien wieder seinen frueheren Platz (Kontrolle ueber den Norden Malis) eingenommen, den Libyen ihm durch die Eroeffnung eines Konsulats in Kidal (Jahreswende 2005/2006) und den Besuch des Revolutionsfuehrers Muammar El Gadaffi zu Maouloud in Timbuktu (April 2006) streitig gemacht hatte.
Die Ereignisse in Kidal haben im Westen der Region von Timbuktu Unruhe ausgeloest, vor allem in Léré, wo die Erinnerungen an die Repressalien von 1991 traumatisch auflebten. Einige Familien haben sich sofort nach Fassala (Mauretanien) abgesetzt, wo sich frueher die Fluechtlingslager des UNHCR befanden, andere haben Léré verlassen und sich in die Umgebung zurueckgezogen.
Der Kommandant der Gendarmerie von Timbuktu, Ali Ag Oumar (ebenfalls frueher MPA) hatte seinen Posten in Timbuktu verlassen und sich nach Mauretanien abgesetzt. Inzwischen ist er nach Timbuktu und in die Gendarmerie zurueckgekehrt. Die geflohenen Familien sind zumeist wieder in Léré und die etwa fuenfzehn Familien, auf die man dort noch wartet, bereiten ihre Heimkehr vor. Die Lage normalisiert sich.
Das Programm Mali-Nord hat auf Ruhe und Normalitaet gesetzt. Es hat den Einheiten der Nationalgarde (Meharisten) von Léré bis Raz El Mâ die Mittel (Treibstoff, Reifen, Geld) gegeben, zwei geraubte Fahrzeuge zurueckzufuehren und die Grenzpatrouillen zu verstaerken, um dem Aufflammen des frueheren Banditentums einen Riegel vorzuschieben, hat die Rueckfuehrung von Familien nach Léré organisiert, die Entsendung einer Delegation von Aeltesten nach Mauretanien finanziert und in den grenznahen Gemeinden Renovierungsmassnahmen an oeffentlichen Gebaeuden angestossen, um die Atmosphaere friedlicher Normalitaet zu unterstreichen.
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