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August 2007
Gegenueber von Attara, auf der rechten Seite des Niger, liegt das Dorf Bia. Mitte Juli, der Fluss hat gerade seinen niedrigsten Stand überwunden, dauert die Ueberfahrt mit der Piroge ungefaehr 15 Minuten. Ab September rueckt Bia von Attara immer weiter weg und die Piroge benoetigt mehr als eine halbe Stunde. Wind kann die Ueberfahrt gefaehrden oder verhindern.
Bia hat eintausenddreihundert Einwohner: Sarakole (ca. 75%) und Bozos (ca. 25%) plus einige wenige Songhay-Familien. Die wenigen Sarakole im Norden Malis, sie gelten als besonders fleissig und tuechtig, leben in Dorfgemeinschaften, neben Bia z. B. in Dianke und in Kam. Die Bozos, Fischereinomaden, sind hier sesshaft geworden. Durch eine Finanzierung des Europaeischen Entwicklungsfonds entstand in Bia im Jahr 1996 ein doerfliches Bewaesserungsfeld von zwanzig Hektar für den Reisanbau. Das brachte eine grosse Veraenderung fuer den Ort mit sich, auch für die Frauen, und zwar nicht deshalb, weil man ihnen Parzellen auf dem Bewaesserungsfeld zugeteilt haette. Sie haben sich vielmehr einen anderen, ihnen traditionell zugehoerigen Teil der Wertschoepfungskette erschlossen und ausgebaut: die Weiterverarbeitung von ungeschaeltem Reis.
Die erste Reisschaelmaschine kam durch das Bewaesserungsfeld ins Dorf. Heute hat jedes Quartier eine eigene Reisschaelmaschine. Die „ressortissants“ von Bia, die Abgewanderten „qui étaient en exode“ haben die Maschinen angeschafft. In jedem der fuenf Quartiere des Dorfes gibt es eine organisierte Frauengruppe mit jeweils etwa fuenfzig Mitgliedern. Jede Frau geht ihrem Gewerbe aber individuell nach.
Donnerstag ist Markttag in Attara. Am fruehen Morgen werden die Saecke mit dem geschaelten Reis aus den fuenf Quartieren von Bia am Flussrand gestapelt (Bild 1). Sobald eine Piroge beladen ist (Bild 2), setzt sie ueber. In Attara angekommen marschieren die Frauen zum Wochenmarkt, die mit ihren Reissaecken beladenen Eselskarren folgen ihnen (Bild 3). Hier nehmen sie am Rande des neuen Marktes ihre angestammten Plaetze ein und sitzen den ganzen Tag in der Sonne (Bild 4). Am Nachmittag, wenn aller Reis verkauft ist oder keine Kunden mehr zu erwarten sind, finden sie sich im Lager des Zusammenschlusses der Bewaesserungsfelder von Attara (GIE) ein.
Am spaeten Donnerstagnachmittag herrscht dann im Reislager des GIE reges Kommen und Gehen. In kleinen Gruppen stehen die Frauen aus Bia vor den aufgeschichteten Saecken (Bild 5). Sie begutachten und betasten die Saecke. Mit dem Finger bohren sie kleine Loecher und entnehmen einige Koerner, sie befuehlen die Koerner, beissen auf sie, legen sie auf den Boden und zerbrechen sie mit einer Drehbewegung ihrer Hacken. Sie suchen die prallsten Saecke mit der besten Qualitaet, d. h. mit den groessten und reifsten Reiskoernern. Enthaelt das Korn naemlich zu viel Spelzen und zu wenig Frucht, wirft ihre Arbeit keinen Gewinn ab.
Die Frauen gehen hin und her, bohren hier, bohren da, steigen auf die aufgestapelten Saecke, um vielleicht doch noch einen besser gefuellten Sack zu finden. Die Entscheidung zieht sich hin. Ist die Wahl endlich getroffen, markieren sie die Saecke mit bunten Stoffbaendchen und bezahlen sie beim Lageristen (Bild 6). Jede Frau kauft und verarbeitet zwischen drei und fuenf Sack pro Woche.
Im Sektor Attara hat das Programm Mali-Nord seit 1996 vierzig doerfliche Bewaesserungsfelder ausgebaut. Heute umfasst der Reisanbau hier tausend Hektar. „Die Frauen von Bia kaufen uebers Jahr nach und nach den gesamten Lagerbestand auf.“
Ein Eselskarren bringt die gekauften Reissaecke zum Fluss, anschliessend geht es mit der Piroge ueber den Niger. Am Flussufer von Bia beginnt jeden Donnerstagabend mit dem Einweichen der Reissaecke (Bild 7) der Verarbeitungszyklus von neuem. Er umfasst eine Woche. Am Samstag werden die Reissaecke aus dem Fluss gezogen und der Reis wird in einer abgeschnittenen Tonne fuer kurze Zeit erhitzt, danach zunaechst in der Sonne, spaeter im Haus fuer zwei Tage zum Trocknen ausgelegt. Anschliessend wird der Reis zur Maschine transportiert und geschaelt (Bild 8). Nun ist er fuer den Verkauf fertig.
Aus fuenf Sack ungeschaeltem Reis (Paddy) à achtzig Kilogramm lassen sich innerhalb von drei Tage Arbeit fuenf Sack à fuenfzig bis sechzig Kilogramm geschaelter Reis herstellen: „Eine rentable Arbeit, die nicht uebermaessig anstrengt.“
Penda Mamoudou Maiga aus Bia hat fuenf Sack Reis gekauft und pro Sack 11.500 FCFA (= 17,50 Euro) bezahlt. Der Transport mit dem Eselskarren und der Piroge, das Auf- und Abladen hier wie dort kostet pro Sack 300 FCFA (= 45 Euro-Cent). Einen Sack Reis maschinell schaelen kostet 800 FCFA (= 1,20 Euro). Hinzu kommen Ausgaben für Feuerholz und fuer Hilfskraefte. Jede Handreichung, jeder Handlanger ist zu entlohnen.
Ein Kilogramm geschaelter Reis kostet am Markttag in Attara 250 FCFA (= 0,45 Euro-Cent). Ergibt der Sack à achtzig Kilogramm Paddy nur fuenfzig Kilogramm Reis, so deckt das gerade alle Kosten, ergibt er aber sechzig Kilogramm, dann erzielt man damit 2.500 FCFA (= 3,80 Euro) Gewinn. Kein Wunder, dass die Frauen so genau auf die richtige Auswahl der Reissaecke achten. Ihr Gewinn entscheidet sich bereits beim Einkauf.
Ein zusaetzlicher Verdienst ergibt sich aus dem Verkauf dessen, was beim Schaelprozess uebrig bleibt: rund 30 kg Spelzen und Kornreste. Sie sind als Viehfutter geschaetzt, die Viehhalter kommen dafuer ins Dorf und zahlen 1.000 FCFA (= 1,50 Euro) fuer einen Sack.
Die Frauen schliessen den Kreislauf des Vertriebs. Will man die Nachhaltigkeit der Bewaesserungsfelder sichern, muss man die Frauen einbeziehen. Sie sind es, die den ungeschaelten Reis weiter verarbeiten und vertreiben. Ohne sie liesse sich der ungeschaelte Reis im Sektor von Attara gar nicht absetzen. Deshalb raeumt der Geschaeftsfuehrer des GIE ihnen immer einen Vorzugspreis ein, FCFA 500 unter dem gaengigen Marktpreis.
Alle Zitate stammen von Nouhou Maiga, dem für diesen Sektor zustaendigen Einrichter des Programms Mali-Nord.
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